Bestäubung

 

Bestäubung, Übertragung des Pollens von den Staubgefäßen (den männlichen Fortpflanzungsorganen der Blüte) auf die Narben des Stempels (des weiblichen Fortpflanzungsorgans) pflanzlicher Blüten.

Eine Bestäubung geht stets der Befruchtung voraus. Sie kann zwischen ein- und derselben Blüte erfolgen – die so genannte Selbstbestäubung – oder zwischen verschiedenen Blüten – die Fremd- oder Kreuzbestäubung. Bei der Fremdbestäubung unterscheidet man noch zwei Fälle: findet sie zwischen verschiedenen Blüten derselben Pflanze statt, nennt man dies Nachbarbestäubung oder Geitonogamie, erfolgt die Pollenübertragung dagegen auf Blüten eines anderen Pflanzenindividuums, handelt es sich um echte Fremdbestäubung oder Xenogamie. Im Falle einer erfolgreichen Befruchtung nach Selbstbestäubung spricht man von Autogamie, nach einer Fremdbestäubung von Allogamie.

Die Selbstbefruchtung ist für die Pflanzen wesentlich einfacher und sicherer als die Kreuzbestäubung, besonders bei Arten, die relativ einheitliche Tochterpflanzen hervorbringen. Solche Arten laufen jedoch Gefahr, dass durch ein einziges evolutionäres Ereignis die ganze Population vernichtet wird. Zudem wird durch die geförderte Inzucht das Erbgut immer einheitlicher und die Pflanzen dadurch u. a. anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Durch Kreuzbestäubung entstehen aufgrund der Vermischung des Erbmaterials Nachkommen, die sich immer genetisch stärker unterscheiden und die auch mit veränderten Umweltbedingungen besser zurechtkommen. Pflanzen, die kreuzbestäubt werden, bilden in der Regel auch mehr und qualitativ höherwertige Samen aus.

Die Vorteile der Kreuzbestäubung sind so groß, dass die Pflanzen im Laufe der Evolution komplizierte Mechanismen entwickelt haben, um eine Selbstbestäubung bzw. -befruchtung zu verhindern und um zu erreichen, dass ihr Pollen auf weit entfernte Pflanzen gelangt. Letzteres dient dazu, die gewünschte Erbgutdurchmischung weiter zu erhöhen. Viele Pflanzen vermeiden eine Selbstbefruchtung, indem sie chemische Stoffe produzieren, die verhindern, dass das eigene Pollenkorn auf der Narbe derselben Blüte bzw. der Blüten derselben Pflanze keimt oder dass sich der Pollenschlauch im Griffel entwickelt. Andere Pflanzen, beispielsweise die Dattelpalmen oder die Weiden, sind zweihäusig (diözisch), d. h. einige Pflanzen tragen jeweils nur männliche (staminate), andere nur weibliche (pistillate) Blüten. Ein weiteres Phänomen zur Vermeidung der Selbstbestäubung bzw. zur Förderung der Fremdbestäubung ist die so genannte Dichogamie; darunter versteht man das zeitlich aufeinander folgende (also getrennte) Reifen der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane einer Pflanze, was Selbstbestäubung fast ausschließt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Familie der Korbblütler. Über einen anderen Mechanismus berichteten chinesische Forscher 2001 in der Zeitschrift Science: Die Blüte einer Ingwerpflanze kann nur bestäubt werden, wenn deren Narbe nach unten gebogen ist. Ist dies der Fall, setzt die Blüte jedoch keine Pollen frei, wohl aber, wenn der Stempel aufgerichtet ist. Alle Ingwerpflanzen ändern die Position ihres Stempels gleichzeitig gegen Mittag und setzen ihre Pollen entweder nur am Morgen oder nur am Nachmittag frei.

Die größten Pollenmengen werden vom Wind übertragen. Da der Wind die Pollen jedoch völlig frei – unabhängig von der gewünschten Empfängerpflanze – über weite Gebiete verteilt, müssen die auf ihn angewiesenen Pflanzen wie beispielsweise alle Koniferen sehr große Mengen an Pollen bilden, um damit auch eine Befruchtung zu sichern. Zu Zeiten des Pollenfluges sind Nadelwälder daher häufig von (gelben) Pollen geradezu eingenebelt. Damit die Pollenkörner länger in der Luft schweben, sind sie bei den Nadelbäumen mit jeweils zwei kleinen Luftsäcken versehen. Andererseits entwickeln windbestäubte Pflanzen in den weiblichen Blüten häufig lange, nach außen exponierte und fein aufgefächerte Narben mit einer großen Oberfläche, um den Pollen möglichst gut auffangen zu können. Außer den Koniferen sind auch noch viele andere Pflanzen windbestäubt, darunter die Süß- und Sauergräser (z. B. Seggen oder Binsen), viele Laubbäume oder die Dattelpalmen sind windbestäubt; letztere werden jedoch in Kultur schon seit Jahrhunderten mit der Hand bestäubt (indem man abgeschnittene männliche Fruchtstände in die Krone der weiblichen Pflanzen steckt), um den Fruchtansatz zu verbessern.

Bienen und viele andere Insekten, Vögel und Fledermäuse, und sogar Säugetiere ermöglichen den Pflanzen eine sehr viel effizientere Pollenübertragung, da diese Tiere immer nur bestimmte Pflanzen bei der Nahrungssuche aufsuchen. Im Laufe einer langen Evolution hat sich daraus ein diffiziles und fein abgestimmtes System entwickelt, bei dem die Pflanze Blüten in ganz bestimmter Bauweise hervorbringt, um genau den Ansprüchen der Bestäubertiere zu entsprechen, diese stärker von der jeweiligen Pflanzenart abhängig zu machen und sie an sich zu binden. Die Pflanzen bieten als „Belohnung” für den Blütenbesuch meist (eiweißreichen) Pollen und/oder (kohlenhydratreichen) Nektar an, der für die Bestäubertiere eine wichtige und teilweise ausschließliche Nahrungsquelle darstellt. Sie werden in speziellen Blütenteilen angeboten, die häufig so gebaut sind, dass sie nur von ganz bestimmten Tierarten erreicht werden können. Die wohl besten Beispiele für extreme Abhängigkeit der Beziehung Tier-Pflanze liefern bestimmte Orchideenarten. Bekannt sind etwa Sexualtäuschblumen der Gattung Ragwurz (Ophrys), bei denen die Blüten die Weibchen der jeweiligen Bestäuberinsekten imitieren – durch Form, Behaarung und Geruch – und die noch dazu zu einer Zeit blühen, in der vorwiegend Männchen der bestäubenden Insektenart fliegen, die Weibchen dagegen noch nicht geschlüpft oder aus dem Bau gekrochen sind. Andere Orchideen bieten im Nektar bestimmte Stoffe an, aus denen die Männchen der bestäubenden Bienenart ihre eigenen, artspezifischen Sexuallockstoffe aufbauen. Auch bei heimischen Arten Mitteleuropas lassen sich ähnlich enge Beziehungen beobachten. Beispielsweise können beim Besenginster (Cytisus scoparius) nur bestimmte Hummelarten die Staubgefäße der Blüten aufspringen lassen, so dass die Unterseite der Hummeln mit Pollen bestäubt wird. Die für den Menschen wohl bedeutendsten Kreuzbestäuber von Blüten sind die Honigbienen; sie liefern nicht nur den Honig, sondern man stellt Bienenstöcke häufig ganz gezielt zu Bestäubungszwecken in die Obstpflanzungen, um den Fruchtansatz zu erhöhen.